Protest
Sit-in genannte Sitzblockaden oder Go-ins, die gestürmte Vorlesungen in Diskussionsveranstaltungen verwandeln, ebenso wie Demonstrationen, Streiks oder die Besetzung von Räumen und öffentlichen Plätzen: Als studentische Protestformen haben sie sich erst im Zuge der 68er-Bewegung etabliert und wirkten damals noch um einiges provokanter.
Hamburg war kein Zentrum der Revolte, doch die an seiner Universität geprägte Parole „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ wurde zu einem Symbol der Studentenbewegung.
Diese forderte neben einer radikalen Demokratisierung der Universität auch eine demokratische Gesellschaft. Sie demonstrierte gegen Notstandsgesetze, Schah-Besuch und Vietnam-Krieg. Die Bewegung wurde auch für nachfolgende Studierendengenerationen in Hamburg zum Bezugspunkt in ihrer Auseinandersetzung mit hochschul- und allgemeinpolitischen Themen sowie der nationalsozialistischen und kolonialen Geschichte der eigenen Hochschule.
Zeichen des Protests
Spätestens seit den Studierendenprotesten der 1960er Jahre gehört studentischer Widerstand zum Bild der Hamburger Universität. Die jeweiligen Aktionen sind flüchtig, ihre Anlässe und Ziele bleiben jedoch in Form von Plakaten, Flugblättern oder ganzen Büchern dauerhaft sichtbar. Während die in der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte gesammelten Flugblätter die Vielfalt der Themen und häufig auch ein Stück Zeitgeschichte spiegeln, zeugen auf dem Kellerboden eines Universitätsgebäudes verbliebene Farbspuren und Wortfetzen von den damaligen Aktivitäten.Ein provokanter Solgan trifft ins Schwarze
Bei der feierlichen Rektoratsübergabe am 9. November 1967 entfalteten zwei dem Anlass entsprechend gekleidete Studenten überraschend ein Spruchband mit der Aufschrift „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“. Nach jahrelangem höflichem Ringen um studentische Mitbestimmung und bessere Studienbedingungen erzielte die gewagte Aktion die erhoffte Schockwirkung. Zuerst verschwanden die Talare, dann die professorale Alleinherrschaft, für die sie standen. Das Hochschulreformgesetz vom April 1969 machte aus der Hamburger Ordinarienuniversität die bundesweit erste Gruppenuniversität mit Mitbestimmungsrechten für alle Gruppen.Proteste gegen den Umgang mit der kolonialen Vergangenheit
Als bedeutende Hafen- und Handelsstadt war Hamburg neben Berlin das wichtigste Zentrum des deutschen Kolonialismus. Spätestens seit den 1960er Jahren thematisieren Studierende der Hamburger Universität die kolonialen Verstrickungen ihrer Hochschule und das damit verbundene Unrecht. Ihre Forderungen und spektakulären Protestaktionen richteten sich etwa gegen die neben der Hochschule aufgestellten Kolonialdenkmäler, aber auch den Universitätsgründer Werner von Melle. Seit 2014 widmet sich auch eine universitäre Forschungsstelle der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Kolonialzeit und ihrer Spuren in der Stadt, deutschlandweit die erste ihrer Art.Protestplakate herstellen
Im Keller des Universitätsgebäudes Von-Melle-Park 9 fertigten Studierende über viele Jahre Protestplakate. Farbe drang durch den Stoff der Transparente und blieb als Durchschlag auf dem Boden erhalten. Bevor eine Renovierung des Raums die Spuren beseitigte, dokumentierten Studierende der Universität die Überbleibsel studentischer Protestkultur.„Summer of Resistance"
Bundesweit protestierten Studierende 2005 im „Summer of Resistance“ gegen Studiengebühren. Auch die Hamburger schlossen sich den Protestaktionen an. Trotz des massiven Widerstands der überwiegenden Mehrheit der Studierenden konnten sie die Einführung der Studiengebühren nicht verhindern. 2012 schaffte Hamburg die Gebühren bereits wieder ab.
Nachhaltiger Protest
Als ein Hamburger Humanbiologe in seinem Lehrbuch mit rassekundlichen Ansätzen argumentierte, waren Studierende empört. In einer Arbeitsgruppe setzten sie sich inhaltlich mit den umstrittenen Thesen auseinander. Dabei entstand nicht nur diese Veröffentlichung, sondern sie initiierten auch eine Vorlesungsreihe an der Universität.Flugblattsammlung
Die ständig wachsende Flugblattsammlung der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte dokumentiert studentische Proteste über ein halbes Jahrhundert. Sie spiegeln mit ihren wechselnden Themen von den Notstandsgesetzen über Atomkraft bis hin zur Diskriminierung Homosexueller ein breites Spektrum studentischer Proteste„Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“
Der bekannteste Slogan der Studentenbewegung spielt nicht nur auf verkrustete Strukturen an, sondern auch auf die NS-Vergangenheit mancher Professoren. Zwei Hamburger AStA-Mitglieder hatten ihn erfunden. Ihr Transparent stellten sie aus einem Stück Trauerflor für den erschossenen Berliner Studenten Benno Ohnesorg her.
Was die Studierenden wollten
Überfüllte Hörsäle, veraltete Bibliotheken, übermäßig hohe Durchfallquoten bei Prüfungen waren nur einige der Missstände, die der Allgemeine Studentenausschuss (AStA) kritisierte. Er forderte zudem mehr Mitspracherechte für Studierende in den Gremien. Der Zeitungsbericht zitiert die bei der Rektorfeier 1967 vorgebrachten studentischen Anliegen.Eine gewandelte Universität
Nach langanhaltenden Studierendenprotesten reformierte sich die Universität 1969. Während vorher die Ordinarien die Hochschulpolitik bestimmten, waren jetzt alle Gruppen von Universitätsangehörigen – auch die Studierenden, wissenschaftlichen Assistentinnen und Assistenten sowie das Verwaltungspersonal – in den Gremien mitspracheberechtigt.Abgelegt
Die durch das „Muff-Transparent“ gestörte Feier der Rektoratsübergabe an Werner Ehrlicher läutete in Hamburg das Ende der Talare ein. An diesem 9. November 1967 wurden sie das letzte Mal offiziell getragen. Die professorale Amtstracht, das traditionelle Symbol akademischer Würde, galt nun als antiquiert.
Legendäres Fotomotiv
Während die Professorenschaft ins Audimax einzog, setzten sich zwei gutgekleidete Studenten an den Anfang des Zuges. Akribisch geplant, entfalteten sie ungehindert ihr Transparent und gingen damit vor den ahnungslosen Würdenträgern in den Saal. Nicht nur ihr Slogan, auch das Fotomotiv wurde zum Symbol für die 68er-Bewegung.Die Bannerträger
Detlef Albers und Gert Hinnerk Behlmer, die Urheber des „Muff-Transparents“, studierten Jura. Von einem Disziplinarverfahren und Abbruch ihrer akademischen Laufbahn blieben sie 1967 verschont. Ihr inzwischen zum Mythos gewordenes Protestbanner nutzten sie 30 Jahre später, um am Ort des Geschehens Stuhlspenden für das Audimax einzuwerben.Eine Feier – Zwei Einladungen
Nicht nur die Universität, auch der Allgemeine Studentenausschuss lud zum Rektorwechsel am 9. November 1967. Während die Ordinarien ihre Feier in der traditionellen Form abhalten wollten, plante der AStA eine öffentliche Diskussion über Studienbedingungen und Universitätsreformen.Universitätsgründer zerstückelt
1977 entwendeten Studierende die Büste Werner von Melles. Unter dem Motto „von Melles Kopf rollt für Zimbabwe“ zerschnitten sie die Bronze in einer öffentlichen Aktion mit Schneidbrenner und Säge in kleine Stücke. Das Auge wurde versteigert, die übrigen Teile für einen „Solidaritätspreis“ von fünf Mark verkauft.Für die Befreiungsbewegung in Afrika
Der Erlös der verkauften Büstenfragmente kam der Befreiungsbewegung in Simbabwe zugute. Das Plakat nimmt die Farben und Form der Flagge der Partei Zimbabwe African National Union (ZANU) auf, die gegen die Kolonialregierung kämpfte.
Fundstücke
Die Büste Werner von Melles, die heute im Foyer des Hauptgebäudes steht, ist eine Reproduktion von 1979. Diese ist durch Spenden finanziert worden, nachdem linksradikale Studierende das Original von 1924 in einer antikolonialistischen Aktion zersägt hatten. Zwei der Fragmente konnten für die Ausstellung ausfindig gemacht werden.